Mit der direkten Demokratie können Themen, die bislang im Parlament keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten, auf die politische Tagesordnung gesetzt werden. Viele engagierte Bürger/innen und Initiativen haben ein riesiges Reservoir an Ideen und Wissen. Sie können diese Ideen auf die politische Agenda setzen.
Faktencheck
Die neun wichtigsten Argumente für den bundesweiten Volksentscheid
- 1. Motor: Neue Ideen und Themen auf die politische Agenda setzen
- 2. Bremse: Entscheidungen gegen den Mehrheitswillen können verhindert werden
Volksentscheide verhindern, dass das Parlament in seiner vierjährigen Wahlperiode anders entscheidet, als es die Mehrheit in der Bevölkerung will. Vor allem fakultative Referenden sind ein Kontrollinstrument, mit dem die Bürger/innen bei neuen Gesetzen das letzte Wort haben können.
Die Vorwirkung direkter Demokratie ist wichtig. Allein die Möglichkeit, Referenden gegen Parlamentsbeschlüsse einzuleiten, führt dazu, dass Abgeordnete ihre Entscheidungen gründlicher und ausführlicher mit der Gesellschaft beraten.
- 3. Wer gefragt wird, wendet sich nicht ab
Umfragen belegen seit Jahrzehnten, dass sich eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung für bundesweite Volksentscheide ausspricht – und das unabhängig von den parteipolitischen Präferenzen. Durch die Volksbegehren und Volksentscheide werden Menschen ermutigt, sich zu engagieren. Sie übernehmen Verantwortung und können sie nicht mehr „nach oben“ abwälzen. Die Identifikation mit dem politischen System steigt.
Direkte Demokratie kann somit auch ein wirksames Mittel gegen schädlichen Populismus sein. Sie schließt Repräsentationslücken und nimmt Demagogen den Wind aus den Segeln.
- 4. Die Akzeptanz politischer Entscheidungen wird erhöht
Wenn die Bürger mitentscheiden können, erhöht das die Akzeptanz politischer Entscheidungen. Volksentscheiden gehen monatelange Diskussionen voraus. Während dieser Zeit haben alle Seiten die Gelegenheit, ihre Argumente zu präsentieren und den Dialog zu suchen. Den Bürger/innen ist es möglich, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Sie können die getroffene Entscheidung besser nachvollziehen – auch wenn sie in der Abstimmung unterliegen.
- 5. Mehr Transparenz und Information
Bis es zu einem Volksentscheid kommt, vergehen mehrere Monate. In dieser Zeit erhalten die Bürger Zugang zu allen wesentlichen Informationen und den Folgen der jeweiligen Entscheidung. Volksentscheide sind riesige Bildungsveranstaltungen. Fakultative und obligatorische Referenden zwingen den Bundestag dazu, seine Gesetzesvorhaben besser zu erklären und mit den Akteuren in der Zivilgesellschaft abzustimmen. Schließlich kann durch Volksentscheide auch selbst mehr Transparenz durchgesetzt werden.
- 6. Der eigenen Stimme mehr Ausdruck verleihen
Alle vier Jahre geben wir bei der Bundestagswahl unsere Stimme für eine Partei und einen Direktkandidaten ab. Damit wählen wir ein Gesamtpaket, mit dem kaum jemand vollständig übereinstimmen wird. Hinzu kommt, dass manche Themen erst in der laufenden Wahlperiode aufkommen. Hier braucht es Korrekturmöglichkeiten. Mit bundesweiten Volksentscheiden ist es den Bürgerinnen und Bürgern möglich, sich differenzierter zu einzelnen Sachfragen zu äußern. Ein/e Bürger/in kann die SPD wählen und gleichzeitig gegen das Freihandelsabkommen TTIP stimmen, sie kann die FDP wählen und sich trotzdem für Steuererhöhungen aussprechen.
- 7. Volksentscheide sind eine Schule der Demokratie
Volksentscheide können für eine konstruktive Debattenkultur sorgen. Das haben die Erfahrungen auf kommunaler und Landesebene gezeigt. Bürgerinnen und Bürger wägen die präsentierten Argumente ab und lernen, dass ihre Entscheidungen auch jenseits von Wahlterminen wichtig sind. Initiativen merken, dass ihre Themen Resonanz finden.
Mit dem Wissen, Gesetze erlassen zu können, steigt das politische Verantwortungsbewusstsein und die Fachkenntnis der Bürgerschaft. Sie erhält durch Volksentscheide ein größeres Verständnis für die Spielregeln der Demokratie. Dazu gehört auch das Akzeptieren von Niederlagen. Gleichzeitig können die Argumente der Gegenseite durch das lange Verfahren besser nachvollzogen werden.
- 8. Volksentscheide kanalisieren Protest und fördern die bürgerschaftliche Selbstbestimmung
Volksbegehren und Volksentscheide sind eine zivile und formal geregelte Form des politischen Protests. Die Bürger/innen können ihre Anliegen zum Mittelpunkt politischer Diskussionen machen und gegebenenfalls auch durchsetzen. Volksentscheide stehen für ein gemeinsames und aktives Streiten um die besten Lösungen in und für die Gesellschaft. Das Gefühl, selbstbestimmt Politik und Gesellschaft mitgestalten zu können, fördert eine aktive und verantwortungsbewusste Bürgerschaft.
- 9. Volksentscheide stärken die Parlamente
Volksentscheide erhöhen die Rückkopplung parlamentarischer Entscheidungen an die Bevölkerung. Der Bundestag hat die Möglichkeit, Volksinitiativen anzunehmen oder ihnen entgegenzukommen. Durch das Agenda-Setting aus der Mitte der Bevölkerung kann der Bundestag Trends und Stimmungen besser aufnehmen. Politische Entscheidungen erfahren allein durch das Vorhandensein der verschiedenen direktdemokratischen Instrumente eine höhere Akzeptanz und Legitimation.
Zehn Erwiderungen auf die häufigsten Ängste vor dem Volksentscheid
- 1. Die Direkte Demokratie nutzt vor allem den Populisten
Mehr Demokratie ist gegen Referenden "von oben", also von Regierungen eingeleitete Volksabstimmungen wie zum Beispiel die Abstimmung zur Flüchtlingspolitik in Ungarn oder die Befragung zum Brexit. Mit der Volksgesetzgebung "von unten" können die Bürgerinnen und Bürger selbst konstruktive Vorschläge zur Abstimmung bringen.
Aufgrund der Länge eines Verfahrens – in der Regel zwei Jahre – sind Volksbegehren für populistische Schnellschüsse weniger geeignet. Generell sind Volksentscheide ein Spiegel der Gesellschaft und genauso gut oder schlecht gegen Populismus gerüstet wie Parlamente.
In vielen Ländern sind rechtspopulistische Parteien an den Regierungen beteiligt. Populismus nistet in Repräsentationslücken. Diese können durch direkte Demokratie geschlossen und den Demagogen kann somit der Wind aus den Segeln genommen werden.
Es muss nicht immer zum Volksentscheid kommen. Die Vorwirkung der direkten Demokratie sorgt dafür, dass sich die Politik mit den durch aus auch vielfältigen Interessen in der Bevölkerung auseinandersetzen muss. Direkte Demokratie hat auch eine Ventil-Funktion. Sie kann Menschen das weit verbreitete Gefühl nehmen, nicht gehört zu werden.
- 2. Komplexe Fragen werden auf Ja/Nein-Entscheidung reduziert!
Auch Parlamente entscheiden mit Ja oder Nein, unabhängig davon, wie komplex der Sachverhalt ist. Auch darf die Annahme, die parlamentarische Demokratie folge ausschließlich rationalen Abwägungen und sei per se auf konstruktive Kompromisse ausgerichtet, angesichts der Praxis hinterfragt werden.
Volksbegehren können mit Hilfe zweier Regelungen flexibler ausgestaltet werden:
- Die Initiator/innen dürfen ihre Vorlage nach der Volksinitiative anpassen. So können sie auf aktuelle Diskussionen reagieren, Anregungen aufnehmen und auch zulässigkeitsrelevante Mängel beheben.
- Wenn sich Bundestag, Bundesrat und Initiator/innen nach einem erfolgreichen Volksbegehren auf einen Kompromiss einigen, wird der gemeinsam mit der ursprünglichen Vorlage im Volksentscheid abgestimmt. So ist es heute schon bei kommunalen Bürgerentscheiden. In der Hälfte der Fälle setzt sich der Vorschlag der Gemeindevertretung durch.
- Die Initiator/innen dürfen ihre Vorlage nach der Volksinitiative anpassen. So können sie auf aktuelle Diskussionen reagieren, Anregungen aufnehmen und auch zulässigkeitsrelevante Mängel beheben.
- 3. Bei Volksentscheiden wird die öffentliche Debatte emotional und polemisch geführt
Die Ausgestaltung von direkter Demokratie ist entscheidend. Die Positionen der Kontrahenten im Volksentscheid müssen den Bürger/innen vorab in einer Broschüre („Abstimmungsheft“) vorgelegt werden. Eine unparteiische Kommission kontrolliert die Inhalte. Wenn sie diskriminierende oder offensichtlich unwahre Äußerungen feststellt, werden diese nicht veröffentlicht.
Die Erfahrungen auf kommunaler und Landesebene haben gezeigt, dass der Diskurs in der Regel zugespitzt, aber sachlich verläuft. Das Wissen über politische Themen ist dort an höchsten, wo darüber abgestimmt wird. Es gewinnt auch selten der, der am lautesten schreit, sondern wer am besten überzeugen kann und ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Empfehlungen der Parteien und der Fachverbände haben in Volksabstimmungen hohes Gewicht.
- 4. Volksentscheide ermöglichen eine Tyrannei der Mehrheit
Volksbegehren werden im Vorfeld auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Völkerrecht überprüft (präventive Normenkontrolle). Durch sie kann es keine verfassungswidrigen Volksbegehren geben. Der verfassungsgemäße Minderheitenschutz bleibt somit gewahrt. Zudem haben Minderheiten mit der direkten Demokratie eine gute Möglichkeit, ihre Anliegen auf die politische Agenda zu setzen.
- 5. Direkte Demokratie dient nur den Reichen und ist sozial selektiv
Die soziale Schieflage ist bei allen demokratischen Verfahren zu beobachten. Auch an Wahlen beteiligen sich nicht alle Einkommensgruppen gleichermaßen. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der Parlamente alles andere als sozial repräsentativ ist. Studien belegen, dass dadurch bestimmte Bevölkerungsinteressen stärker repräsentiert werden.
Gerade die direkte Demokratie zeigt sozial abgehängten oder politikfernen Menschen, dass es häufiger als alle vier Jahre auf sie ankommt. In einem politischen System, das Volksbegehren und Volksentscheide kennt, können sie sich auch zwischen Wahlen einmischen. Darüber hinaus muss politische Partizipation viel stärker zum Gegenstand politischer Bildung werden.
- 6. Finanzkräftige Akteure haben mehr Einflussmöglichkeiten
Diese Behauptung entspricht der Praxis der direkten Demokratie in den Bundesländern nicht. Viel entscheidender als das Budget einer Kampagne ist ihre Glaubwürdigkeit. In Berlin setzten sich zum Beispiel die Volksentscheide mit dem kleinsten Kampagnenbudget durch. Wichtig ist hier Transparenz: Eine gesetzlich verankerte Vorschrift zur Offenlegung von Spenden für Volksbegehren deckt auf, welche Akteure hinter einer Kampagne stehen. Eine Kostenerstattung für die Initiatoren ermöglicht auch finanzschwachen Gruppen die Durchführung eines Volksbegehrens.
- 7. Die Bürgerinnen und Bürger gehen verantwortungslos mit öffentlichen Finanzen um
Die Annahme, dass eine Selbstbedienungsmentalität entstehe, wenn Bürger über ihre Angelegenheiten selbst entscheiden, basiert auf einem eher negativen Menschenbild. Studien belegen genau das Gegenteil. Häufig wenden Bürger- und Volksbegehren auch kostenintensive Großprojekte ab oder zielen auf Kosteneinsparungen. Schließlich geht es hier um das Geld der Bürgerinnen und Bürger.
- 8. Volksentscheide führen zu schlechten Entscheidungen, siehe Brexit
Volksentscheide sind der Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, sie produzieren nicht von sich aus schlechte Ergebnisse. Mehr Demokratie wendet sich gegen Referenden "von oben", wie die Abstimmung über den Brexit. Unser Gesetzentwurf stärkt die Bürgerschaft und die demokratischen Möglichkeiten der Bevölkerung durch Volksentscheide, die "von unten" angestoßen werden. Dadurch können auch unliebsame Entscheidungen der Regierung revidiert werden oder die Regierenden an Wahlversprechen bzw. ihren Koalitionsvertrag erinnert werden.
Die Frage, was ein "schlechte Ergebnis" ist, wird von unterschiedlichen Akteuren auch unterschiedlich beantwortet werden. Zudem ist es ein demokratisches Grundprinzip, dass beide Seiten versuchen, eine Mehrheit von den eigenen Argumenten zu überzeugen. "Schlechten Ergebnissen" lässt sich nur durch bessere Inhalte und öffentlichen Diskussionen entgegentreten.
- 9. Parlamente werden durch die direkte Demokratie ausgehöhlt
Die direkte Demokratie ergänzt und stärkt die Parlamente. Gut geregelt sorgt sie für eine höhere Transparenz, mehr Verantwortlichkeit und mehr Responsivität. Die meisten Entscheidungen verbleiben im Parlament – so ist es auch in der Schweiz.
Das Parlament ist stets in das Verfahren involviert: Es berät über das Volksbegehren und kann einen Kompromiss mit den Initiatoren aushandeln. Es kann im Volksentscheid auch einen eigenen Gegenentwurf mit zur Abstimmung stellen. Die Erfahrungen in den deutschen Kommunen und Bundesländern sowie in anderen Ländern mit direkter Demokratie "von unten" zeigen, dass kein Parlament durch direkte Demokratie abgeschafft oder geschwächt wurde.
- 10. Die Bürger/innen sind durch direkte Demokratie manipulierbar
Ganz im Gegenteil. Die langen Verfahren vor Volksentscheiden erfordern ausführliche Debatten. Die vorgesehene Spendentransparenz legt den Einfluss von Interessengruppen offen. In einer Abstimmungsbroschüre, die vor dem Volksentscheid an alle Haushalte geht, werden die Argumente der Kontrahenten gegenübergestellt. Direkte Demokratie sorgt auch durch das Zusammenwirken mit anderen Regelungen wie einem Transparenzgesetz für mündige Bürgerinnen und Bürger. Ähnlich wie im Parlament spielt bei Volksabstimmungen das Vertrauen in die Urteilskraft anderer eine große Rolle. Studien aus der Schweiz zeigen, dass Empfehlungen von Parteien und Fachverbänden großes Gewicht haben.