Volksentscheid-Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien
SPD, Grüne, FDP, Linke und AfD haben bisher zur Einführung des bundesweiten Volksentscheids Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die notwendige Grundgesetzänderung ist allerdings nicht zustande gekommen. Die CDU hat sich jeweils der Einführung verweigert.
Die Schwesterpartei CSU hat allerdings im Herbst 2016 bundesweite Volksentscheide erst in ihr Grundsatzprogramm und dann in das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 aufgenommen. Bündnis 90/Die Grünen hat sich über Jahrzehnte für den Ausbau der direkten Demokratie eingesetzt; 2020 hat die Partei allerdings die Forderung nach dem bundesweiten Volksentscheid aus ihrem Grundsatzprogramm gestrichen. Die SPD hat 2011 einen deutlichen Parteitagsbeschluss zur direkten Demokratie gefasst und 2013 einen vielversprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. In ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl taucht die direkte Demokratie seit 2017 jedoch nicht mehr auf. Die Linke steht stabil zu der Forderung. Die AfD hat Vorschläge eingebracht, die von Mehr Demokratie e. V. kritisch beurteilt werden.
Im Folgenden sind die Parteien nach Fraktionsstärke sortiert.
SPD
Auszug aus dem Grundsatzprogramm 2007:
(Link zur Quelle -> S. 32)
„Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide.“
Am 5. Dezember 2011 wurde von dem Ordentlichen Bundesparteitag der SPD ein Grundsatzbeschluss gefasst, mit dem sich die Partei deutlich und unmissverständlich für die Einführung des bundesweiten Volksentscheids einsetzt und dies ausführlich mit Vorschlägen untersetzt:
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Bundesparteitag/beschlussbuch_bpt_2011.pdf; siehe S. 95ff, insbes. S. 100ff
Auszug aus dem Wahlprogramm 2017:
(Link zur Quelle -> S. 79)
„Zur Unterstützung der parlamentarischen Demokratie wollen wir direkte Demokratiebeteiligung auf Bundesebene stärken.“
CDU
Auszug aus dem Grundsatzprogramm:
(Link zur Quelle -> S. 88)
„Wir bekennen uns zur repräsentativen Demokratie, die politische Führung und demokratische Verantwortung miteinander verbindet.“ (Beschluss auf Parteitag gegen DD)
Auszug aus dem Wahlprogramm 2017:
Keine Erwähnung
CSU
2016 hat die CSU in ihrer ersten Mitgliederbefragung die 144.000 Mitglieder gefragt, ob sie sich für die Einführung bundesweiter Volksentscheide einsetzen soll. Das haben 68,8 % bejaht.
Mehr dazu hier
Auszug aus dem Wahlprogramm 2017/Bayernplan:
(Link zur Quelle -> S. 2 & 18)
Insgesamt 143 CSU-Forderungen, die die CDU nicht mit trägt, haben die Christsozialen in einen eigenen Bayernplan geschrieben. Für sechs dieser Punkte garantiert die CSU, dass sie im nächsten Koalitionsvertrag verankert werden.
Einer dieser sechs Punkte ist die Beteiligungsgarantie: „Wir wollen in wichtigen politischen Fragen bundesweite Volksentscheide einführen.“
Im Weiteren wird ausgeführt: „Bürgerbeteiligung bereichert und ergänzt die parlamentarische Demokratie. Die CSU möchte künftig auch im Bund das Volk bei grundlegenden Fragen für Land und Menschen direkt beteiligen. Insbesondere bei nicht zu revidierenden Weichenstellungen und europäischen Fragen von besonderer Tragweite soll die Bevölkerung in Abstimmungen entscheiden. Wir wollen, dass das Grundgesetz durch das deutsche Volk auch auf dem Weg durch Volksbegehren und Volksentscheid mit Zweidrittel-Mehrheit geändert werden kann. Der Wesenskern der Verfassung, der Grundrechte und der föderalen Ordnung sind davon ausgenommen.“
Die Grünen
Bundesweite Volksentscheide sind bei den Grünen umstritten. Während die Forderung in allen Grundsatzprogrammen mehr oder weniger deutlich formuliert, aber enthalten war, wurde sie von dem Parteitag aus dem Grundsatzprogramm 2020 gelöscht.
Mit ihrem Wahlprogramm 2021 verabschieden sich die Grünen von einem klaren Bekenntnis zu bundesweiten Volksentscheiden. Lediglich „direktdemokratische Verfahren zu einzelnen Beratungsergebnissen“ von Bürgerräten sollen in der kommenden Wahlperiode geprüft werden. Quelle: Wahlprogramm 2021 der Grünen -> S.74
Im Wahlprogramm 2017 dagegen war die direkte Demokratie eines der 63 Schlüsselthemen: „Demokratie lebt auch vom Vertrauen in die Wähler*innen, deshalb wollen wir GRÜNE Elemente direkter Demokratie auch in der Bundespolitik stärken. Wir wollen Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in die Verfassung einführen.“
Quelle: Wahlprogramm 2017 der Grünen -> S. 148
Mehr Demokratie kritisiert die Abkehr der Grünen von bundesweiten Volksabstimmungen und unterstützt Aktivitäten der Parteibasis, um das Thema wieder stärker zu setzen. In einem breiten Bündnis aus 14 Vereinen und Organisationen hat Mehr Demokratie dazu einen offenen Brief verfasst. Bisher hatten sich alle grünen Grundsatzprogramme (1980, 1993 und 2002) zu dem Ziel bekannt, die direkte Demokratie auf Bundesebene einzuführen.
Lesen Sie mehr in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Grünen zur direkten Demokratie von Mehr Demokratie-Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck: Kommentar für das Europa-Magazin
FDP
Auszug aus dem Grundsatzprogramm:
(Link zur Quelle -> S. 73)
„Wir Liberalen setzen uns darüber hinaus für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auch auf der Ebene des Bundes ein.“
Auszug aus dem Wahlprogramm 2017:
(Link zur Quelle -> S. 96)
„Selbstbestimmung in allen Lebenslagen heißt demokratische Mitbestimmung unterhalb der repräsentativen Demokratie. [...] Wir stärken die liberale Demokratie als Lebensform, indem wir ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement, den punktuellen Einsatz professionell moderierter Bürgerbeteiligung sowie den probeweisen Ausbau von Instrumenten der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene und Landesebene unterstützen.“
AFD
Auszug aus dem Grundsatzprogramm (Link zur Quelle -> S. 9):
„Die AfD setzt sich dafür ein, Volksentscheide in Anlehnung an das Schweizer Vorbild auch in Deutschland einzuführen. Wir wollen dem Volk das Recht geben, über vom Parlament beschlossene Gesetze abzustimmen. [...] Gesetzesinitiativen aus dem Volk haben eigene Gesetzesvorlagen zum Gegenstand und können durch die Stimmbürger angestoßen werden. Ohne Zustimmung des Volkes darf das Grundgesetz nicht geändert und kein bedeutsamer völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Das Volk muss das Recht haben, auch initiativ über Änderungen der Verfassung selbst zu beschließen. [...] Das deutsche Volk ist ebenso mündig wie das der Schwei-zer, um ohne Einschränkung über jegliche Themen direkt abzustimmen. Eine natürliche Schranke ergibt sich durch Grundsätze des Völkerrechts.“
Auszug aus dem Wahlprogramm 2021 (Link zur Quelle -> S. 13)
„Die AfD fordert Volksentscheide nach Schweizer Modell auch für Deutschland. … Ohne Zustimmung des Volkes darf das Grundgesetz nicht geändert und kein bedeutsamer völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Wir wollen dem Volk das Recht geben, den Abgeordneten auf die Finger zu schauen und vom Parlament beschlossene Gesetze zu ändern oder abzulehnen. Das Volk soll die Möglichkeit erhalten, Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen. Hierbei soll es jenseits des Art. 79 Abs. 3 GG keine thematischen Beschränkungen geben. … Auch die Parlamente sollen die Möglichkeit erhalten, eine Volksabstimmung zu initiieren.“
Die AfD-Fraktion im Bundestag hat am 31. März 2023 einen neuen Gesetzentwurf zur Einführung des bundesweiten Volksentscheids eingebracht.
Zum Gesetzentwurf der AfD Bundestagsfraktion
Im Einzelnen:
Verzichtet wird auf die Antragsstufe (Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens, Volksinitiative) und damit auf die Möglichkeit, Volksbegehren vom Bundesverfassungsgericht daraufhin überprüfen zu lassen, ob sie dem Grundgesetz entsprechen bzw. ob sie Grund- und Minderheitenrechte antasten. Hier offenbart sich, was die AfD meint, wenn Sie “Volksabstimmungen wie in der Schweiz” fordert. Auch dort gibt es diese Überprüfung nicht, die Schweiz hat gar kein Verfassungsgericht. Deshalb konnten in der Schweiz das Minarettverbot oder die “Ausschaffung” straffällig gewordener Ausländerinnen und Ausländer zur Abstimmung kommen.
Dies wäre in keinem der deutschen Bundesländer möglich gewesen und sollte auch auf Bundesebene nicht möglich sein. Deutschland geht bisher mit der dreistufigen Volksgesetzgebung einen eigenen Weg, der sich bewährt hat.
Die direkte Demokratie soll "oberstes Gesetz" sein. Vom Volk beschlossene Gesetze sollen nur per Volksentscheid wieder geändert werden können. Hier wird der Anspruch der Gleichrangigkeit der parlamentarischen und der direktdemokratischen Gesetzgebung aufgegeben und eine Möglichkeit geschaffen, mittels direkter Demokratie die parlamentarische Arbeit zu blockieren.
Unsere Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf finden Sie hier
Mehr Demokratie warnt: Dem Gesetzentwurf der AfD zu folgen, hätte fatale Auswirkungen für unsere Demokratie, würde Menschen- und Minderheitenrechte in Frage stellen und das Parlament unterlaufen.
Die Linke
Auszug aus dem Grundsatzprogramm:
(Link zur Quelle -> S. 45)
„Die Bundesrepublik Deutschland bedarf der Erneuerung als demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Deshalb muss die repräsentative parlamentarische Demokratie durch direkte Demokratie erweitert werden. Der Volksentscheid soll dafür ein wichtiges Mittel werden.“
Auszug aus dem Wahlprogramm 2021:
(Link zur Quelle -> unter Die Demokratie demokratisieren!)
"Wir wollen Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene einführen. Die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte schließt auch die Einführung von Referenden ein, d.h., die Bürger*innen können gegen parlamentarische Entscheidungen ein Veto einlegen."
Zum Gesetzentwurf der LINKEN-Bundestagsfraktion
Die Vorschläge folgen im Wesentlichen den Forderungen von Mehr Demokratie e.V. Für den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens werden 100.000 Unterschriften vorgeschlagen, für das Volksbegehren selbst eine Million.
Im Innenausschuss des Bundestages wurde Mehr Demokratie angehört.
Den Mitschnitt und unsere Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf finden Sie hier